Johann Christian Clausen Dahl
Seesturm, 1843
Bereits als Jugendlicher war Dahl in seiner Heimat Bergen mit der Seefahrt in Kontakt gekommen. Eine verstärkte Hinwendung zu Marinemotiven ist dann in seiner Zeit an der Kopenhagener Akademie 1811–1817 zu beobachten, wobei diese zu einem wesentlichen Bestandteil seines Œuvres werden sollten. Neben dem täglichen Treiben im Hafen der dänischen Hauptstadt bot sich dem Künstler zudem in der königlichen Gemäldegalerie die Gelegenheit, maritime Darstellungen niederländischer Meister der Barockzeit sowie Werke von Claude Joseph Vernet1 zu studieren. Besonders um 1830 gehören Sturm und Seenot2 zu beliebten Themen Dahls.3 Dass der Maler dieser Vorliebe auch in späteren Zeiten noch gebührende Aufmerksamkeit schenkte, wird an vorliegendem Gemälde deutlich, in dem er seine Meisterschaft in kleinem Format eindrücklich beweist. Als Bildträger wählte der Künstler eine an ihn adressierte Einladungskarte der Sächsischen Gesellschaft für Botanik und Gartenbau Flora, deren Mitglied er war. Dies war nicht ungewöhnlich, wählte er diese Karten doch mehrfach als Bildträger, wie exemplarisch eine Ansicht des Golfs von Neapel aus dem Jahr 1847 zeigt.4 Im dramatisch beleuchteten Vordergrund türmen sich hohe, von weißer Gischt durchzogene Wellen auf. Von einer sich scheinbar brechenden Welle erfasst, entdecken wir ein havariertes Segelschiff, dessen Beflaggung am Heck auf seine französische Herkunft verweist. Die zerstörte Takelage und einzelne zerfetzt Segel zeugen von der Wehrlosigkeit der Besatzung gegenüber den rauen Kräften der Natur, denen sie schutzlos ausgeliefert ist. Die aufgewühlte See wirkt durch ihr dunkles Blau auch im Hintergrund gefahrvoll, ebenso wie die in dunklem Violett und Grau gehaltene Wolkenwand auf der rechten Seite. Lediglich der leicht aufbrechende Himmel im linken Bildteil verspricht Linderung der Qualen. Auch wenn keine Seeleute an Board auszumachen sind, steht hier das Unberechenbare des menschlichen Schicksals im Mittelpunkt, ganz im Sinne des Topos navigatio vitae. Als einzige Zeugen des Unglücks sind bei genauer Beobachtung mit feinstem Strich erfasste Möwen im Himmel zu sehen. Der Betrachter bleibt sodann mit seinen eigenen Emotionen zurück. Ob Mitgefühl für die scheinbar Todgeweihten oder Zuversicht, der Ausgang dieses Dramas bleibt vollkommen offen. Neben der bedrohlichen Dünung, die das Schiff zum Kentern und endgültigen Untergang bringen kann, eröffnet sich am Himmel links doch auch ein Lichtblick der Hoffnung auf ruhigere See, die vielleicht Rettung mit sich bringt.
Frau Marie Lødrup Bang hat die Authentizität und die Zuordnung zu WVZ Nr. 989 anhand einer Farbfotografie bestätigt.
Fußnoten
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Claude Joseph Vernet (1714–1789) gilt im Bereich der Marinemalerei als einer der bedeutendsten Künstler des 18. Jahrhunderts. ↩
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Neben den zuvor genannten niederländischen bzw. französischen Malern dieses Themas sei auch auf literarische Vorlagen wie den 1788 erschienenen Roman Paul et Virginie von Jacques Henri Bernardin de Saint-Pierre (1737–1814) verwiesen, der bis ins 19. Jahrhundert in Europa große Aufmerksamkeit erfuhr. ↩
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Kat. Ausst. Dahl und Friedrich. Romantische Landschaften, Nasjonalgalleriet Oslo 2014 und Albertinum Dresden 2015, Dresden 2014, S. 182. ↩
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Johann Christian Clausen Dahl: Der Vesuv, gesehen von Posillipo, 1847, Öl auf Karton, 7 x 11,3 cm, Freies Deutsches Hochstift Frankfurter Goethe-Museum Inv.-Nr. IV-2016-009 ↩