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Jean-Baptiste Camille Corot

* 1797 – † 1875

Sin, près Douai. La Route de Waziers, 1874

Öl auf Leinwand
48,559,5
Signiert unten links: COROT Verso auf dem Rahmen oben links: Etikett Galerie E. J. van Wisselingh & Co Amsterdam Nr. 9315 Verso auf dem Rahmen oben rechts: Etikett Galerie Waring Hopkins Paris Verso auf dem Keilrahmen oben rechts: Etikett Ausstellung Vingt peintres du XIXe siècle, Paris 1910 Verso auf dem Keilrahmen Mitte rechts: Etikett Galerie Bernheim-Jeune Paris, Nr. 18526
Sin, près Douai. La Route de Waziers, 1874

Ein Jahr vor seinem Tod hält Camille Corot am Rande des Dorfes Sin-le-Noble südöstlich von Douai eine von bäuerlicher Staffage belebte Straße fest. Auf der linken Seite führt eine Baumreihe mit vorgelagertem Graben in die Tiefe des Bildes. Zwei kahl stehende Baumstümpfe im Vordergrund eröffnen den Blick auf reetgedeckte Häuser. Auf der gegenüberliegenden Seite, mit zartem Strich erfasst, reihen sich junge Bäume aneinander. Im Juli 1874 wird die Szenerie in silbrigen Farbtönen und mit lockerem Strich vormittags zwischen 8 und 11 Uhr plein air erfasst, wie sein Freund und Autor des ersten Werkverzeichnisses des Künstlers Alfred Robaut1 zu berichten wusste.2 Die Hand des Malers verrät Selbstsicherheit, keine Spur vom Nachlassen der Schaffenskraft des nunmehr 77-jährigen Meisters. Das von links einfallende Sonnenlicht, durch die Bäume ein Spiel aus Licht und Schatten auf die Straße werfend, lässt darauf schließen, dass der Blick gegen Süden gerichtet sein muss. Auf der Straße muss die Ortschaft Waziers somit im Rücken des Künstlers gelegen haben, als er das Werk erschuf. 1851 bereiste Corot erstmals die Gegend, als er seinen aus Douai stammenden Künstlerfreund Constant Dutilleux3 in Arras besuchte. In der Folgezeit sollte der Maler den französischen Nordosten regelmäßig aufsuchen.4 Auf den Monat genau ein Jahr vor der Entstehung unseres Bildes hatte Corot eine ähnliche, wenn nicht die gleiche Straße, bei Sin le Noble gemalt (Abb. 1). Robaut, bei dem der Künstler in dieser Zeit wohnte, berichtet später Moreau-Nélaton:5

„Er wählte ein Motiv in der Umgebung der Stadt, im Dorf Sin-le-Noble (…). Drei oder vier rotgedeckte Reetdachhäuser am Rande eines Rasenwegs, von dem sie durch eine dünne Baumreihe getrennt werden, und darüber einige leichte Schleierwolken, die sich mit dem Blau des Gewölbes vermählen: das war für Corot der Stoff eines Meisterwerks. Diese alltägliche Landschaft ist ein Gedicht aus Licht und Luft.“6

Robaut nimmt hinsichtlich seines Engagements nicht nur durch sein 1905 erschienenes Werkverzeichnis Corots eine Sonderstellung ein, sondern tritt auch als bedeutender Sammler seiner Werke hervor. Vorliegendes Gemälde gehörte in seine über zweihundertfünfzig Bilder des Malers umfassende Sammlung. Wie ein Blick auf die Provenienz zeigt, konnte ein weiterer wichtiger Sammler von Kunstwerken Corots aus dieser Zeit das Bild sein Eigen nennen. Von dem Zahnarzt Dr. Verdier ist bekannt, dass er mindestens neununddreißig Bilder des Künstlers besessen hat. Unser Gemälde hielt sodann Einzug in eine ebenfalls bedeutende zeitgenössische Sammlung, jener des aus Bordeaux stammenden Industriellen John Saulnier. Ihm gelang es, nicht weniger als siebenundzwanzig Gemälde des Malers zusammenzuführen, wobei seine Obsession primär dessen Landschaftsdarstellungen galt.7 Das Interesse dieses erlesenen Sammlerkreises für Werke Corots spiegelt auch seine Bedeutung auf die Entwicklung der Landschaftsmalerei seiner Zeit wider. Schon während seiner Ausbildung bei Michallon und Bertin8 wendete er sich in der näheren Umgebung von Paris dem Naturstudium zu und malte unter anderem 1822 in Fontainebleau. Von seiner ersten Italienreise aus sandte er 1827 erfolgreich Werke an den Pariser Salon, an dem er in der Folgezeit regelmäßig teilnehmen sollte.9 Besonders seine Naturstudien waren den jüngeren Künstlern im Kreise der Schule von Barbizon Vorbild, aber auch den Impressionisten, die er in seiner späteren Rolle als Juror des Pariser Salons förderte. Ihre erste Ausstellung eröffneten diese sodann im Entstehungsjahr unseres Gemäldes 1874.

Vergl. Abb. 1 Final.jpg Abb.1 Jean-Baptiste Camille Corot: La route de Sin-le-Noble, près de Douai, 1873, 60 x 81 cm, Paris, Musée du Louvre, Inv. Nr. R.F. 1359, bpk | GrandPalaisRmn | Gérard Blot

Fußnoten

  1. Alfred Ernest Robaut (1830–1909) ist neben seiner Tätigkeit als Lithograf und Fotograf vor allem für die ersten Werkverzeichnisse von Eugène Delacroix (1798–1863) und Jean-Baptiste Camille Corot bekannt.

  2. Robaut, Alfred: L´Œuvre de Corot. Catalogue raisonné et illustré, Bd. 3, Paris 1905, S. 314.

  3. Constant Dutilleux (1807–1865) war ein französischer Landschaftsmaler.

  4. Kat. Ausst. Corot, Metropolitan Museum of Art, New York 1996, S. 401.

  5. Adolphe Étienne Auguste Moreau-Nélaton (1859–1927) war französischer Maler, Kunsthistoriker und Sammler.

  6. Moreau-Nélaton, Étienne: La vue de Sin-le-Noble, près Douai, par Corot, in: Gazette des beaux-arts (1903), S. 491.

  7. Kat. Ausst. Corot, Metropolitan Museum of Art, New York 1996, S. 399. Jean-Victor Bertin (1767–1842) und Achille-Etna Michallon (1796–1822) war bedeutende Landschaftsmaler Ihrer Zeit. Letztgenannter gewann 1817 den Grand Prix de Rome für historische Landschaften.

  8. Jean-Victor Bertin (1767–1842) und Achille-Etna Michallon (1796–1822) war bedeutende Landschaftsmaler Ihrer Zeit. Letztgenannter gewann 1817 den Grand Prix de Rome für historische Landschaften.

  9. Kat. Ausst. Corot, Metropolitan Museum of Art, New York 1996, S. 413.

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